Samstag, 5. September 2009

Diktatur der Reizüberflutung

Warum bloggen Menschen? Private Homevideos auf "öffentlich" brandmarken. Ist das die moderne Form der Kunst? Werden somit kulturelle Güter für die Ewigkeit konserviert? Jemand in Form eines 12 Mb großen Videos, der Welt mitteilt, wie er auf 2grisl1cup reagiert. Das ist das Leben. Ein Leben im Internet. Großgeschrieben wird der Datenschutz. Schäuble als zweite Stasi deklariert. Skandale über personifizierte Daten, die im Internet abrufbar sind. Schrecklich. Doch genau für die Generation X ist das kein Horrorszenario, eher ein Wunschszenario.
Es wird gebloggt, Bilder hochgeladen und Video-Flicks erstellt, was das Zeug hält. Für diesen Pseudo-Ruhm einzelner verursachen die dahinterstehenden Rechenzentren einen CO²-Auswurf vom feinsten. Nicht nur die gepeinigten Teilnehmer des Privat-Entertainments sind die ahnungslosen Opfer dieses neuen Massenphänomens - nein, auch die Umwelt darf mit darunter leiden. Wenn schon falsch, dann richtig.

Wie weit ist es denn noch bis zum Abgrund? Die Musik wird immer billiger und schlechter, dafür die CDs teurer. Die Filme werden immer teurer und überflüssiger, dafür die DVDs billiger. Die Konsumenten werden immer fauler. Kulturelle Veranstaltungen im Real Life werden auf ein Mal als "anstrengend" empfunden. Clubs und Discotheken mutieren zu von Menschenmassen überfüllten geschlossenen Räumen. Mit den Takt versuchen seinen Nacken zu zucken, zählt als tanzen. Komasaufen als Party.
Markenklamotten stellen die Uniformen einer auf freiwilliger Basis versklavten Gesellschaft dar. Von lateinamerikanischen Kindern zugeklebte Markenklamotten, die natürlich das besondere Design beinhalten. Dazu mit einem Preis versehen werden, die die eigentliche Leistung dahinter vollkommen übertrumpfen. Träger solcher Dinge werden Snobs genannt, doch in der heutigen Generation muss so etwas getragen werden, um auf den Schulhof nicht das Opfer der nächsten Schlägerei zu werden.

Ist es nicht ein Traum in der frei westlichen Zivilisation zu leben? Elektrogeräte, die uns jeden Traum erfüllen und unglaublich kostengünstig zu scheinen sein. Eine Reizüberflutung, welche den normalen Alltag als blanke Zumutung umwandeln lässt. Plasmabildschirm, virtuelles Golfspielen, von der Anzahl des Views-Counters sich eine Pseudo-Prominenz einreden. Wir sind die Gesellschaft, die mehr Energie für ihren Alltag verbraucht, als jemals dafür tragbar wäre. Die aus Arbeitslagern erstellte Kleidung tragen. Marken-Möbel mit Frischholz-Garantie schmücken unsere Inneneinrichtung. Nachrichten sind übersäht von Börse, Fußball und Promis. In den anderen Themen steckt zu viel räumliche Distanz dazwischen.
Das Zukunftsbild aus dem Film-Klassiker "Metropolis" hat sich fast bewahrheitet. Wir leben oben, aber es ist noch lange nicht so grün.


Gastblogger:
Leslie Teah

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

leslie, ich bin begeistert und verwirrt! eine ernste sozialkritik hätte ich an dieser stelle nicht erwartet.

Anonym hat gesagt…

Wow! Knackiger Inhalt! Gut geschrieben @Leslie! Grüße aus dem Hause trashpoptERROR ;-)